Adhärenz

Rituale, Komplizen und die Autorität des Apothekers

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Bonn -

Die Beratung in der Apotheke hat entscheidenden Einfluss auf die Adhärenz des Patienten. Im schlimmsten Fall wird dieser von den Fachinformationen so verunsichert, dass er auf die Einnahme der Arzneimittel lieber verzichtet. Trotzdem sollten sich Pharmazeuten bei der Beratung keinesfalls zurückhalten, rät Professor

Dr. Rainer Düsing vom Hypertoniezentrum Bonn. Er sieht die Apotheker in einer Schlüsselrolle und setzt auf ihre Autorität.

Rund ein Drittel der Therapiebrüche sei auf Vergesslichkeit der Patienten zurückzuführen, zwei Drittel seien bewusste Entscheidungen. Gegen die Vergesslichkeit gebe es Strategien, sagt Düsing. Wichtig sei, den Einnahmezeitpunkt im Rahmen der Vorgaben möglichst so zu wählen, dass er dem individuellen Tagesablauf am besten entspreche.

Der Vormittag sei bei den meisten Menschen sehr gut strukturiert. „Hier lässt sich neben dem täglichen Zähneputzen oder dem Anmachen der Kaffeemaschine leichter eine weitere Routine einbauen als zu Tageszeiten, die weniger geplant ablaufen“, sagt Düsing. Der Apotheker könnte den Patienten Erinnerungshilfen anbieten – etwa mit Aufklebern für die Zahnpastatube oder den Kühlschrank.

Oft helfe es auch, das soziale Umfeld einzubinden, sagt Düsing. Er rät seinen Patienten daher häufig, Kinder, Lebens- oder Ehepartner oder auch den Mitbewohner mit zum Arztgespräch zu bringen und die wichtigen Punkte der Therapie gemeinsam durchzugehen. Beim Thema Polypharmazie und Mulitmorbidität sieht Düsing Chancen für den Apotheker.

Viele ältere Patienten seien mit der Zahl der Medikamente und Dosierungszeitpunkten völlig überfordert. Die Apotheker müssten feststellen, ob die Therapie in dieser Form überhaupt möglich sei und gegebenenfalls alternative Angebote machen. „Ich glaube, dass Apotheker in dem Problem eine Schlüsserolle spielen könnten, weil eben die Therapie selbst einen so großen Einfluss auf die Compliance hat“, so Düsing. „In vielen Detailfragen wäre die Autorität der Apotheker sehr hilfreich.“

Aber auch bewusste Entscheidungen seien ein großes Problem. „In vielen Fällen nehmen die Patienten ihre Medikamente auch bewusst nicht richtig ein, zum Beispiel, weil sie ihre Krankheit und die Chancen der Therapie nicht richtig verstehen“, so Düsing. Das sei immer auf Informationsdefizite des Patienten zurückzuführen, der die Bedrohung durch die Krankheit unterschätzt.

Besonders schwer falle es Patienten, Medikamente regelmäßig einzunehmen, wenn sie keine Beschwerden haben, sagt Professor Dr. Erika Baum, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Viele Medikamente wie Blutverdünner, Cholesterinsenker oder Mittel gegen Bluthochdruck sollten aber vorsorglich angewendet werden. Ein eigenständiges Absetzen, weil man sich besser fühlt, könne sogar lebensgefährlich werden, warnt Baum.

Angst vor Nebenwirkungen nach dem Lesen des Beipackzettels oder tatsächlich auftretende Nebenwirkungen sind laut Düsing weitere Gründe, der Therapie untreu zu werden. Daher sollten Patienten Aufklärung beim Arzt einfordern, wenn sie Fragen zur Erkrankung haben oder unsicher angesichts der Behandlung sind. „Bei den meisten Erkrankungen gibt es eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten, die ausprobiert werden können.“

Die Apotheker könnten kurze motivierende und bestätigende Gespräche führen. Etwa könnte der Pharmazeut bei der Abgabe eines Blutdruckmittels fragen, ob der Patient damit gut eingestellt sei, er könnte auf den Nutzen der Tabletten und die Gefahren von Unterbrechungen hinweisen. „Es wäre gut, wenn der Apotheker routinemäßig auf die dringliche Einnahme eingehen würde. Bei Ärzten kommt das häufig zu kurz“, sagt Düsing.

Für wichtig hält er außerdem Aufklärungsgespräche durch den Arzt oder etwa Schulungen, um die eigene Erkrankung und die Wirkung der Therapie besser zu verstehen. Wer regelmäßig an Schulungen teilnehme, bleibe eher bei seiner Therapie, erklärt Düsing.

Auch eine regelmäßige Überprüfung der Therapieergebnisse, zum Beispiel durch Kontrollen des Blutdrucks und weiterer Risikofaktoren, könne die Therapietreue erleichtern. „Wenn der Patient Verbesserungen sieht, kann ihn das motivieren“, ergänzt Baum.

Therapietreue aus heutiger Sicht heiße nicht, dass der Arzt etwas verordnet und der Patient sich dran zu halten hat. Sie bedeute vielmehr, dass Arzt und Patient eine gegenseitige Vereinbarung treffen, in der auch die Lebenssituation und die Wünsche des Patienten berücksichtigt sind und an die sich beide Seiten halten können.

Mehr noch als bei der Medikamenteneinnahme gibt es Baum zufolge aber Probleme, wenn es darum geht, den Lebensstil zu verändern. „Patienten scheitern oft, weil die Ziele viel zu hoch gesteckt sind“, erklärt die Allgemeinmedizinerin. Man könne nicht erwarten, dass jemand, der 110 Kilo wiegt, ein Gewicht von 80 Kilo erreiche und auch halte. Realistische Ziele seien wichtig.

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