Sprechstundenbedarf

Arzt versteckt sich hinter Apotheker

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Berlin -

Die AOK Hessen und eine Arztpraxis haben über die Erstattungsfähigkeit des Vereisungsmittels Histofreezer gestritten. Die Kasse wollte das Präparat nicht zahlen, weil es in der Sprechstundenbedarfsvereinbarung nicht explizit aufgeführt war. Die Mediziner argumentierten, dass die Aufzählung nur beispielhaft gewesen sei. Und, wenn überhaupt, hätte die Apotheke in Regress genommen werden müssen, die die Arzneimittel abgegeben hat.

Im konkreten Fall ging es um drei Verordnungen aus dem Jahr 2011. Die Ärzte hatten insgesamt sieben Histofreezer als Sprechstundenbedarf zu Lasten der AOK Hessen verordnet. Insgesamt ging es um 1500 Euro. Die Kasse argumentierte, der Histofreezer sei nicht als verordnungsfähig aufgeführt und ein Bezug zu Lasten der Krankenkassen damit grundsätzlich ausgeschlossen. Beim Inhalt der Sprechstundenbedarfsvereinigung handele es sich um eine Positivliste und der Histofreezer sei nicht enthalten.

Die Mediziner sahen das anders. Tatsächlich hieß es in der Sprechstundenbedarfsvereinigung damals noch wörtlich: „Mittel zur Kryotherapie der Haut (Kohlensäureschnee, flüssiger Stickstoff o.ä.)“. Die beiden genannten Präparate seien ausdrücklich als mögliche Beispiele genannt. Es handele sich damit keinesfalls um eine abschließende Aufzählung.

Darüber hinaus habe die ausliefernde Apotheke die Rechtmäßigkeit des Kostenträgers zu prüfen und trage die Verantwortung für die Umsetzung des Sprechstundenbedarfsrezeptes. Außerdem habe die Krankenkasse der Apotheke die Kosten erstattet. Allenfalls hätte aber die Apotheke in Regress genommen werden sollen.

Diese Argumentation ist allerdings nicht korrekt. Der Arzneiliefervertrag zwischen dem Hessischen Apothekerverband (HAV) und den Primärkassen befreit Apotheken sogar explizit von der Prüfpflicht: „Die Apotheken sind grundsätzlich nicht zur Überprüfung der Verordnungsfähigkeit des verordneten Mittels verpflichtet“, heißt es in dem Vertrag.

Das Sozialgericht Marburg ist auf die Argumentation des Arztes überhaupt nicht eingegangen – denn der Fall war auch so klar: Die Aufzählung sei nicht abschließend und beim Histofreezer handele es sich um etwas „Ähnliches“ wie Kohlensäureschnee und flüssigen Stickstoff. Die Kammer war mit zwei Vertragsärzten fachkundig besetzt.

Für die Richter war eindeutig, dass auch andere Präparate erstattungsfähig waren: „Denn 'o.ä.' wird im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch als Abkürzung für 'oder ähnliches' verwandt und es gibt vorliegend auch keine erkennbare mögliche Alternativbedeutung“, heißt es in der Urteilsbegründung. Außerdem falle der Histofreezer in die Kategorie „Mittel zur Kryotherapie der Haut“ – auch wenn er als Mittel zur Kryochirurgie beworben werde. Beide Begriffe stünden für eine Vereisungsbehandlung, stellte das Gericht klar.

Auch den Einwand der Kasse, bei der Anfügung „o.ä.“ habe es sich um einen redaktionellen Fehler gehandelt, ließen die Richter nicht gelten. Der durchschnittliche Arzt könne vernünftigerweise von einer Öffnungsklausel ausgehen, betonten sie. Zumal auch an anderen Stellen in der Sprechstundenvereinbarung abstrakte Aufzählung statt konkreter Produktbezeichnungen verwendet werden. Das Urteil von Anfang Januar ist noch nicht rechtskräftig.

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