Inkontinenzversorgung

Knappschaft: Alles andere ist Luxus

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Berlin -

Die Knappschaft hat die Pauschalen für die Versorgung ihrer Versicherten mit Inkontinenzhilfen drastisch gekürzt. Ab Juni zahlt die Kasse nur noch eine Monatspauschale von 15 Euro, statt wie bislang 21 Euro. Gegenüber Versicherten lobt sich die Knappschaft dagegen für verbesserte Standards und wirtschaftliche Verträge, unter denen im Normalfall keine Mehrkosten für die Versicherten anfallen dürften.

Die bislang lieferberechtigten Apotheken wurden mit Schreiben vom 21. März aufgefordert, bis Ende des Monats mitzuteilen, ob sie den neuen Verträgen beitreten möchten. Anderenfalls würde die Kasse ihren Versicherten mitteilen, „dass eine weitere Versorgung mit Inkontinenzhilfen über einen anderen Vertragspartner sichergestellt werden muss“.

Das ist Mitte Mai geschehen: „Ihr bisheriger Lieferant möchte auf Basis der neuen Verträge unsere Kunden leider nicht weiter beliefern, Sie können sich daher ab dem 1. Juni 2016 durch die Firma Paul Hartmann versorgen lassen“, heißt es in einem Schreiben der Kasse. Die Versicherten werden gebeten, sich selbst mit der Firma in Verbindung zu setzen und die weitere Versorgung abzustimmen. Es können auch andere Vertragspartner gewählt werden, dazu muss sich der Versicherte aber erst mit der Knappschaft in Verbindung setzen.

Die Kasse weist zudem auf die Lieferbedingungen hin: „Alle unsere Vertragspartner sind dazu verpflichtet, Sie mit Ausnahme der gegebenenfalls anfallenden gesetzlichen Zuzahlung, eigenanteilsfrei mit qualitativ hochwertigen Produkten in der medizinisch notwendigen Menge zu versorgen.“ Und weiter: „Mehrkosten können für Sie nur entstehen, wenn Sie sich für eine höherwertige Versorgung oder größere Mengen als medizinisch notwendig entscheiden.“

Die Kasse weist darauf hin, dass die Qualitäts- und Dienstleistungsstandards für die Versorgung mit Inkontinenzhilfen vom GKV-Spitzenverband im März verbessert worden seien. „Wir haben diese Anpassung sofort aufgegriffen und die verbesserten Standards im Sinne unserer Kunden in unsere Verträge aufgenommen“, behauptet die Knappschaft. „Dabei haben wir auch die aktuelle Marktlage berücksichtigt und konnten wirtschaftliche Verträge abschließen. Diese Verträge bieten neben der Berücksichtigung der neuen Standards für Sie den weiteren Vorteil, dass in Zukunft nur noch alle drei Jahre eine neue ärztliche Verordnung einzureichen ist“, so die Kasse.

Tatsächlich hat der neue Vertrag auch Vorteile: Die medizinische Notwendigkeit der Versorgung muss ab Juni nur noch alle drei Jahre mit einem Rezept nachgewiesen werden. Zuvor sollte jährlich eine Verordnung vorgelegt werden. Zum anderen verlängert sich der Zeitraum, in dem das Rezept eingereicht werden kann, von zwei auf sechs Monate. Im Gegenzug wird allerdings die Pauschale um fast 30 Prozent gekürzt.

Experten sind sich dagegen einig, dass eine medizinisch angemessene Versorgung für diesen Preis nicht zu gewährleisten ist. In der Praxis müssen Patienten ihren Bedarf häufig aus eigener Tasche bezahlen. Die Anbieter preisen die Aufzahlungen offenbar teilweise schon bei den Ausschreibungen mit ein: Bei der Barmer GEK ging ein Angebot über 0 Euro ein – die Kasse zog die Ausschreibung daraufhin zurück.

Eine Sprecherin der Knappschaft hatte dagegen im März erklärt, dass einige Apotheken mit den bisherigen Zahlungen dazu in der Lage gewesen seien, eine bessere Inkontinenzversorgung zu leisten, als „gesetzlich vorgeschrieben oder medizinisch notwendig ist”. Daher habe die Knappschaft die Pauschale reduziert.

Der Sächsische Apothekerverband (SAV) hatte seine Mitglieder befragt, ob man den Vertrag mit der Knappschaft zu den neuen Konditionen verlängern solle oder nicht. 900 Apotheken wurden angeschrieben, etwas mehr als jede Dritte schickte eine Antwort. Das Stimmungsbild soll eindeutig gewesen sein: Rund 90 Prozent sprachen sich dem Vernehmen nach gegen eine Vertragsverlängerung aus. Ab Juni sind Sachsens Apotheken damit ausgeschlossen.

Weil bis zur Entscheidung des SAV offenbar die Frist zur Rückmeldung bei der Knappschaft abgelaufen war, können Apotheken auch bilateral nicht ohne Weiteres dem neuen Vertrag beitreten und ihre Kunden beliefern. Eine Apothekerin berichtet, dass sie alle Rezepte von den Ärzten neu anfordern und mit den Versicherten ein Erstberatungsgespräch durchführen müsste, weil sie bei der Knappschaft bereits als Vertragspartner gelöscht sei.

Die Politik hat die Qualitätsprobleme in der Inko-Versorgung erkannt und will jetzt gegensteuern: Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat bereits im Dezember ein Eckpunktepapier für eine Hilfsmittelreform erarbeitet. Das parlamentarische Verfahren soll noch vor der Sommerpause auf den Weg gebracht werden. Die Krankenkassen würden die Qualitätsanforderungen an aufsaugende Inkontinenzhilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis deutlich anheben, teilte auch der GKV-Spitzenverband Mitte März mit. Produkte, die die neuen Anforderungen nicht erfüllen, werden aus dem Hilfsmittelverzeichnis gestrichen.

Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, forderte alle Kassen auf, die bestehenden Versorgungsverträge zu überprüfen und an die neuen Vorgaben anzupassen. „Ich erwarte, dass in Zukunft kein Versicherter mehr Aufzahlungen leisten muss, um wirklich gut versorgt zu werden“, sagte er.

Im vergangenen Dezember hatte der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), mit seiner Kritik an der Inkontinenzversorgung die Diskussion über höherer Qualitätsstandards beschleunigt. „Seit geraumer Zeit äußert eine Vielzahl von Versicherten Beschwerden, wonach die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Inkontinenzmitteln qualitativ nicht ausreichend ist“, hieß es in einem Positionspapier Laumanns.

Die Techniker Krankenkasse (TK) hatte im Februar neue Hilfsmittelverträge aufgesetzt. Sie zahlt eine monatliche Pauschale von 18,45 Euro. Andere Kassen zahlen noch weniger als die Knappschaft: Von der DAK erhalten Vertragspartner einem Bericht der Bild-Zeitung zufolge lediglich eine monatliche Pauschale von 12,50 Euro. Die AOK Hessen zahlt demnach monatlich 13 Euro, die Barmer GEK und die KKH jeweils 17 Euro.

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