Teststreifen-Betrug

Millionenstrafe für „Abrechnungsapotheke“

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Berlin -

Ein Apotheker und eine Vertriebsfirma aus Bayern müssen mehr als 1,1 Millionen Euro an die AOK Hessen zahlen. Die beiden Geschäftspartner hatten Preisunterschiede zwischen den Arzneilieferverträgen ausgenutzt und Patienten aus Hessen über den lukrativeren bayerischen Vertrag beliefert. 2009 wurden sie bereits zu Haftstrafen und zur Rückerstattung ihres Gewinns verurteilt. Nun sollen sie alles zurückzahlen.

Das Unternehmen aus dem bayerischen Bad Kissingen lieferte über einen Versandhandel Blutzuckerteststreifen aus, unter anderem an Versicherte der AOK Hessen. Abgerechnet wurde über den hessischen Arzneiliefervertrag. Im März 2005 schaltete der Firmenchef einen Apotheker aus Bayern ein. Die Teststreifen wurden weiterhin von dem Unternehmen verschickt, die Rezepte aber an den Apotheker weitergeleitet. Der bearbeitete sie teilweise mit Tipp-Ex und reichte sie dann bei der AOK ein. Die Kasse zahlte den höheren bayerischen Vergütungspreis. Den Gewinn teilten sich der Apotheker und der Geschäftsführer der Vertriebsfirma.

Insgesamt wurden von März 2005 bis Juni 2006 mehr als 8000 Rezepte auf diese Weise abgerechnet. Die AOK zahlte dafür mehr als 1,2 Millionen Euro. Nach den hessischen Preisen wären es nur rund 1,1 Millionen Euro gewesen. Der Fall flog auf, als die AOK die Versorgung auf bestimmte Partnerunternehmen umstellen wollte. Den entscheidenden Hinweis soll eine Ärztin gegeben haben.

Im Oktober 2009 wurden der Apotheker und der Geschäftsführer vom Landgericht Würzburg jeweils zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung und Geldstrafen von 63.000 beziehungsweise 38.000 Euro verurteilt. Außerdem mussten sie jeweils zur Häfte den Gewinn von insgesamt 88.000 Euro zurückzahlen.

Das reichte der AOK aber noch nicht: Ende 2009 erhob die Kasse beim Sozialgericht Klage, um den gesamten restlichen Betrag von 1,1 Millionen Euro erstattet zu bekommen, weil die Summe rechtsgrundlos gezahlt worden sei.

Der Apotheker wehrte sich und brachte vor, den tatsächlichen Schaden von 88.000 Euro bereits erstattet zu haben – immerhin seien die Versicherten mit Blutzuckerteststreifen versorgt worden. Außerdem habe er seine Approbation und die Betriebserlaubnis für seine Apotheke verloren und werde nicht in der Lage sein, die Forderung zu bedienen.

Das Gericht gab dennoch der Kasse Recht: Der Erstattungsanspruch gegenüber dem Apotheker bestehe, weil dieser das Geld erhalten, aber keine Leistung erbracht habe. Die Blutzuckerteststreifen seien schließlich durch die Vertriebsfirma abgegeben worden.

Das Argument, die gewählte Lieferform bewege sich im Rahmen seiner Versanderlaubnis, ließen die Richter nicht gelten. „Überschreitet das in den Vertrieb eingeschaltete Unternehmen die Funktion des Transportmittlers und erweckt es den Eindruck, die Abgabe erfolge durch ihn selbst, handelt es sich nicht mehr um einen Versand durch eine Apotheke“, stellten die Richter klar. Außerdem seien die Lieferungen erfolgt, bevor der Apotheker das Rezept gesehen habe.

Außerdem seien „aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes“ weder der Apotheker noch die Vertriebsfirma schutzwürdig. Entscheidend sei, dass es dem Geschäftsführer darauf angekommen sei, den Apotheker als Zahlstelle zwischenzuschalten, um seine Gewinnmarge zu optimieren. An dieser rein formalen Konstruktion der Zwischenschaltung müsse sich das Unternehmen „auch unter dem Gesichtspunkt der gerechten Risikoverteilung bei der Rückabwicklung festhalten lassen“, so die Richter. Heißt: Wird dem Apotheker im Nachhinein die Vergütung gestrichen, trifft das auch die Vertriebsfirma. Außerdem hat das Unternehmen nicht bei der Kasse abgerechnet.

Das Gericht stellt außerdem fest: „Dem Leistungserbringer steht daher für Leistungen, die er unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften oder vertragliche Vereinbarungen bewirkt, auch dann keine Vergütung zu, wenn diese Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht sind.“ Verfassungsrechtliche Bedenken haben die Richter nicht, da die Regelungen im Sozialrecht in erster Linie der Wirtschaftlichkeit dienten.

Der Einwand, dass die Versicherten tatsächlich beliefert wurden, lief daher ins Leere: „Wer sich außerhalb des Abrechnungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung begibt, hat mit Totalverlust zu rechnen“, so die Richter. „Will er das nicht in Kauf nehmen, hat er im System abzurechnen.“

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