MS-Medikamente

Lemtrada: Todesfall durch Thrombozytopenie

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Berlin -

Therapierefraktionäre Autoimmunthrombozytopenie unter Lemtrada (Alemtuzumab, Sanofi/Genzyme): Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) berichtet über das Auftreten der Nebenwirkung mit tödlichem Verlauf.

Die AkdÄ berichtete in der vergangenen Woche von einem Todesfall nach dem Auftreten einer Autoimmunthrombozytopenie (ITP) – trotz rechtzeitiger Diagnose und Therapie verstarb der Patient schließlich an den Folgen einer Kleinhirnblutung.

Der 34-Jährige hatte im Jahr 2000 die Diagnose MS erhalten und war im Krankheitsverlauf mit verschiedenen Arzneimitteln behandelt worden. Im Februar 2015 und März 2016 folgten zwei Therapiezyklen Alemtuzumab. Fünf Monate nach der letzen Infusion fiel bei einer Routinekontrolle ein Abfall der Thrombozyten auf. Eine Therapie mit Kortisonen und Romiplostim führte zu keinem Anstieg. Auch weitere Versuche, die Thrombozytopenie zu beheben, scheiterten. Die Diagnose ITP konnte durch den Nachweis freier und gebundener Antikörper auf den Thrombozyten gestützt werden.

Der Fall zeigt, dass die Alemtuzumab induzierte ITP therapierefraktionär sein kann und ein tödlicher Verlauf nicht auszuschließen ist. Die US-Arzneimittelagentur FDA hatte aufgrund des Sicherheitsprofils die Zulassung eingeschränkt: Alemtuzumab soll erst zum Einsatz kommen, wenn die Patienten auf zwei oder mehr vorangegangene Therapien mit anderen Arzneimitteln nicht ausreichend angesprochen haben.

Bereits aus den Zulassungsstudien war bekannt, dass der Arzneistoff potenziell sekundäre Autoimmunprozesse in Gang setzen kann. Diese richteten sich vorrangig gegen Zellen der Schilddrüse sowie Nierenzellen oder Blutplättchen. Die ITP ist die häufigste Manifestation dieser autoimmunen, gegen Blutzellen gerichteten Reaktionen und äußert sich durch eine antikörper- und zellvermittelte Zerstörung der Thrombozyten, die auch in ihrer Neubildung gestört sein können. Das Auftreten der Komplikation wird mit 1 Prozent angegeben. Dabei wird eine Latenz von 14 bis 36 Monaten nach der ersten Infusion angegeben. Unter Berücksichtigung dieser schweren Nebenwirkung sollte der mögliche Nutzen für den Betroffenen abgewogen werden. Wird mit Lemtrada behandelt, sollten monatliche Blutbildkontrollen bis zu 48 Monate nach Therapiebeginn durchgeführt werden.

Ein Team der Bochumer Ruhr-Universität entdeckte unberechenbare Nebenwirkungen, die in Verbindung Alemtuzumab stehen. Der Antikörper soll nicht nur weitere Autoimmunprozesse in Gang setzen beziehungsweise den Verlauf der Krankheit verschlimmern, sondern auch ringförmige Läsionen im Gehirn verursachen. Ob durch den Antikörper ein neuer unabhängiger Autoimmunprozess ausgelöst werde oder der Verlauf der vorhandenen MS verschlechtert werde, lasse sich nicht unterscheiden, so die Forscher um Professor Dr. Aiden Haghikia.

Entsprechende Prozesse wurden bei zwei Patienten bemerkt, die nach deutlicher Verschlechterung ihrer MS-Symptomatik im Dezember 2014 beziehungsweise Juli 2015 mit Alemtuzumab behandelt worden waren. Etwa ein halbes Jahr später zeigten sich bei ihnen bei Kernspin-Aufnahmen ringförmige Einlagerungen von Kontrastmittel im Gehirn, ihr körperlicher Zustand verschlechterte sich. Versuche, die Entzündung mit intravenösem Methylprednisolon zu behandeln, schlugen fehl, obwohl Dosen bis zu 7000 mg verabreicht wurden.

Alemtuzumab richtet sich vor allem gegen das CD52-Protein auf der Oberfläche von T- und B-Lymphozyten und senkt so die gesamte Lymphozytenzahl. Die Wirkung kommt durch Bindung an T- und B-Lymphozyten über eine körperabhängige und zellvermittelte Zytotoxizität sowie einer komplementvermittelten Zytolyse zu stande. Die Behandlung erfolgt in zwei Zyklen an fünf beziehungsweise drei aufeinanderfolgenden Tagen im Abstand von einem Jahr und je 12 mg Alenzuzumab als tägliche intravenöse Infusion. Die Patienten werden nach der Behandlung über einen Zeitraum von vier Jahren nachbeobachtet.

Lemtrada hat 2013 die Zulassung für die Therapie von Erwachsenen mit aktiver schubförmig-remittierender Multipler Sklerose (RRMS) erhalten. Der humanisierte monoklonale Antikörper kam 2001 ursprünglich für die Behandlung der chronisch-lymphatischen-B-Zell-Leukämie (B-CLL) auf den Markt. Als die Wirksamkeit des Arzneimittels für die Therapie der MS belegt wurde, hatte der Hersteller die Zulassung zur Behandlung der B-CLL aufgegeben und für MS beantragt.

Dem Konzern wurde ein kommerzielles Interesse für die Marktrücknahme von MabCampath „aus strategischen Gründen“ unterstellt. Die AkdÄ hatte dem Konzern vorgeworfen, den Indikationswechsel nur aus finanziellen Gründen durchzuführen, da mehr Menschen an MS leiden als an CLL. Tatsächlich hätten Patienten auf Basis des alten Preises für maximal 3000 Euro in zwei Jahren behandelt werden können – deutlich weniger als die ansonsten üblichen MS-Therapiekosten.

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